Denkmal

Kurzbezeichnung
Anschrift
Schlesienstraße 22
Bauzeit
Denkmalwertbegründung

Wertung

Anfang der 60er Jahre wurden mit sogenannten Teppichsiedlungen neue Formen des verdichteten Wohnungsbaus propagiert. Nach diesen Vorstellungen entstand auf einer nahezu dreieckigen Grundfläche am Albersloher Weg die Gartenhofbebauung Schlesienstraße. Die Siedlung entwickelte sich in den Jahren 1963/64 auf einem Gelände, das im Nordosten durch die parallel zum Albersloher Weg verlaufende Schlesienstraße, im Südwesten durch einen Bach und ein Wäldchen begrenzt wird. 37 flachgedeckte Häuser, davon 27 eingeschossige, 9 zweigeschossige und ein viergeschossiges wurden ausgehend vom Albersloher Weg erschlossen. Durch die Erschließungswege ist die Siedlung in drei innere Hausgruppen sowie eine gestaffelte Hausreihe an der süd-westlichen und an der südöstlichen Siedlungsgrenze gegliedert. An der Nordwestseite bilden neun, zu drei Gruppen zusammengefasste Split-Level-Typen den Abschluss zur benachbarten Bebauung.

Gegenüber dem Teppich aus eingeschossigen Bauten, wie er sich in der Aufsicht darstellt, setzt das viergeschossige Wohnhaus jenseits der Schlesienstraße einen Akzent in der Vertikalen. Seine städtebauliche Bedeutung besteht im bewusst gesetzten Kontrast zu der flachen Bauweise der umgebenden Bebauung und somit in der Fernwirkung. Es wurde in Querrichtung zur Schlesienstraße und somit zur Siedlung erbaut, um die Verschattung der Nachbargebäude sowie Einsicht in die Wohnhöfe zu vermeiden.

Bei der Entwicklung des Erschließungskonzeptes der Siedlung wurde ein Wegesystem entworfen, das sich durch die Bevorzugung des Fußverkehrs auszeichnet und bei dem die befahrbare Fläche auf ein Minimum reduziert ist. Fahrender wie ruhender Verkehr beschränkt sich auf die Schlesienstraße. Das Siedlungsinnere ist für den PKW-Verkehr nur auf Stichstraßen erreichbar. Gassen und Wege sind Fußgängern vorbehalten. Die Wohnwege wurden so schmal wie möglich geführt, um spaziergängergemäße und nicht autogerechte Maßstäbe zu erreichen. Der Grad der Öffentlichkeit nimmt mit der Breite der Wegeverbindungen ab, welches sich auch im Straßenbelag (Asphalt bzw. Pflasterung) widerspiegelt. Das Wegenetz mit kleinen platzartigen Erweiterungen nutzten die Bewohner in den Anfangsjahren als Spielfläche und Ort für siedlungsinterne Versammlungen.

Die Begrünung des öffentlichen Außenraumes beschränkte sich auf eine sparsame Bepflanzung unmittelbar vor den Häusern und ein im Laufe der Jahre eingetretener Bewuchs der Gartenhofwände mit überrankendem Efeu und anderen Pflanzen. Zusätzlich gestalten steinerne Kunstwerke den öffentlichen Raum.

Durch die verdichtete Bauweise und den Verzicht auf öffentliche Grünflächen gewinnt die Siedlung ein quasi städtisches Gepräge, das sich von den gartenstädtischen, aufgelockerten und mit Einfamilienhäusern besetzten Wohnvierteln deutlich abhebt und in der Region kein Vorbild hat.

Hier wurde eine neue Siedlungsform geschaffen, die eine Gemeinschaftsbildung voraussetzt und äußerste Privatheit in jedem einzelnen Haus gewährt. Die Siedlung Schlesienstraße ist bedeutend für die Geschichte des Wohnens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie repräsentiert im Vergleich zu früheren Siedlungsbildern (z.B. Gartenstadtsiedlungen oder verdichtete Wohnquartiere der Jahrhundertwende) eine neue Form des Wohnens. Sie hebt sich auch deutlich von dem üblichen städtebaulichen Konzepten der Nachkriegszeit, wie der organischen Stadt, bei der die Wohngebäude in offener Zeilenbauweise inmitten großflächiger Grünflächen stehen, oder der flächenintensiven Einfamilienhausbebauung ab. Bei diesen Beispielen werden die auf relativ großen Grundstücken errichteten Häuser durch Grundriss und Formensprache, die der traditionellen Architektur der 20- er und 30- er Jahre entlehnt ist, gestaltet.

Das Leitbild der Siedlung an der Schlesienstraße orientiert sich an den Vorstellungen der mittelalterlichen Stadt, jedoch hier in einem modernen Gewand. Das verdichtete Siedlungsbild wird hauptsächlich von der geringen Höhe, den kubischen Formen der Flachdachhäuser, der Geschlossenheit der Wegefronten und der einheitlich weißen Farbe bestimmt. Es ist Zeichen von Modernität und landschaftlicher Ungebundenheit. Darüber hinaus ist es Dokument neuer architektonischer, städtebaulicher und gesellschaftlicher Ideen und Konzepte, die seit den 20er Jahren in Europa intensiv diskutiert werden.

Zentraler Gedanke der damals aktuellen gesellschaftlichen Diskussion war, dass die neue Bebauung einerseits das Gemeinschaftsleben fördern, andererseits den Rückzug ins Private ermöglichen sollte. In der Nachkriegszeit wurde diese neuartige Form der Besiedlung insbesondere im Ausland, in Skandinavien, Österreich, Italien und der Schweiz diskutiert. Hier wurden auch erste Teppichsiedlungen realisiert. Vorbildlich ist die Siedlung Halen bei Bern, die 1961 bezugsfertig war. Nach bisherigen Recherchen wurde im Bereich Nord- West- Deutschland erstmals 1963/64 an der Schlesienstraße der Versuch unternommen, die diskutierten Ideen in gebaute Architektur umzusetzen. Im Gegensatz zur üblichen, flächenintensiven Einfamilienhausbebauung wird an der Schlesienstraße durch die hohe Verdichtung mit dem Boden sparsam umgegangen. Zudem wurde ein homogenes Erscheinungsbild geschaffen, in dem sich Individualität und Gemeinschaft vereinen. Aus den zeittypischen, städtebaulichen Ideen und Vorstellungen, die in der Siedlung Schlesienstraße erstmalig umgesetzt wurden, leitet sich die Bedeutung der Siedlung Schlesienstraße für die Geschichte des Städtebaus ab.

Ebenso sind die einzelnen Häuser und Wohnungen Dokumente eines für die 60- er Jahre modernen Lebensstils. Drei Grundtypen des Einfamilienhauses prägen das Erscheinungsbild der Siedlung, der Winkeltyp, der Rechtecktyp und der zweigeschossige Split-Level-Typ. Im Innern der Siedlung treten der Winkel- und der Rechtecktyp auf. Die Hausreihe im Südwesten besteht aus acht Winkelgebäuden und an der Siedlungsgrenze nach Süden aus vier Häusern des Rechtecktyps. An der Nordwestseite begrenzen neun Split-Level-Typen das Areal. - Beim eingeschossigen Winkeltyp ist eine klare Trennung der Wohn-, Schlaf- und Wirtschaftsbereiche gegeben, die in den zwei, in der Form eines L angeordneten, Flügeln untergebracht sind. Ein Flügel dient als Wohn-, Arbeits- und Essbereich mit offenen Raumübergängen. Der andere Flügel ist Schlaftrakt mit entweder einem Schrankflur zum öffentlichen Raum oder einem breiten Spielflur zum Gartenhof. Der Flur führt zu den Kinderzimmern, dem Bad und dem Elternschlafzimmer als Endpunkt. In dem Gelenk zwischen beiden Gebäudeflügeln befindet sich der zum Wohnraum orientierte Eingang, Hauswirtschaftsraum, Gäste-WC und Garderobe.

Drei Sonderformen ergänzen die Vielfalt an Grundrisslösungen, das Wohnhaus des Architekten von Hausen (Nr. 82), das Zwei-Höfe-Haus ohne Fenster zum Wohnweg (Nr. 66) und das Haus Nr. 48.

Die zweigeschossigen Gebäude sind ebenfalls als Winkeltyp gebaut, wodurch die Einsicht in die Nachbargärten nahezu verhindert wird. Durch den halbgeschossigen Versatz der Ebenen (Split-Level) und die geschickte Führung der Treppenläufe bietet sich die Möglichkeit einer flexiblen Wohnnutzung. Das Untergeschoss kann wahlweise als Einliegerwohnung, aber auch als Teil der Hauptwohnung genutzt werden.

Ziel der sehr rationellen Einteilung aller Wohnungen ist die Reduzierung der Verkehrs- und Erschließungsflächen auf ein notwendiges Minimum. Die großen und hellen Wohnräume sind so beschaffen, dass sie nach dem Prinzip des fließenden Raumes mehrere Funktionen aufnehmen konnten. Die Ausrichtung der Häuser ermöglichte ein hohes Maß an ungestörter privater Atmosphäre. Dabei wurde darauf geachtet, den privaten Bereich zum Straßenraum abzuschotten. Die funktionale und ausgewogene Grundrissorganisation begründet den architektonischen Wert der Siedlung, weil hier erstmalig, konsequent und bahnbrechend eine Architektur gewählt wurde, die einerseits Gemeinschaftsbildung voraussetzt und gleichzeitig äußerste Privatheit gewährt. An der Erhaltung eines jeden Wohnhauses in der Siedlung besteht daher aus baugeschichtlichen Gründen ein öffentliches Interesse.

Allen Häusern gemeinsam ist die Bildung allseitig umschlossener Hofräume, der offene Gartenhof als Mittelpunkt des Hauses. Dieser Gartenhof wirkt als zusätzlicher Wohnraum, da er von fast allen Räumen einsehbar ist. Er ist umschlossen von den Wänden des eigenen, des Nachbargebäudes oder von haushohen Eternitwänden. Die insbesondere von dem Gartenarchitekten Heinz Günter Schulten entworfenen Höfe entsprechen einem mit Pflanzen gestalteten, architektonischen Raum. Vor Schulten wurde auch die öffentliche Freifläche entworfen, in der das Gebaute zusammen mit den vom Künstler Ernst Hermanns entworfenen Kunstobjekte aus Stein dominiert. In den gepflasterten Wegen ist das Grün nur an weniger Standorten unmittelbar vor den Häusern vorgesehen.

Die Gestaltung von Wohnhöfen und öffentlichem Freiraum zeigt deutlich der Einfluss, den die klassische Moderne der 20- er Jahre am Ende der 50- er Jahre wiedererlangt. Sie entspricht in keiner Weise mehr der in diesen Nachkriegsjahren in Deutschland und in anderen Ländern maßgeblichen Form des informellen Gartens, in dem die Gestaltung möglichst in den Hintergrund treten und die Pflanze als Urelement der Natur den Eindruck von Ursprünglichkeit vermitteln soll. Naturnähe wird vermieden. Schultens Gärten und Freiflächengestaltung verfolgen strenge Formen Die Anregungen kommen insbesondere aus der Hamburger IGA (1963). Die Freiflächengestaltung als Teil der Siedlung Schlesienstraße ist Beispiel für neue Tendenzen der Gartengestaltung zu Beginn der 60er Jahre. An ihrer Erhaltung und Nutzung besteht ein öffentliches Interesse, weil an ihr eine wichtige Phase der Gartengeschichte zu erkennen ist. Die einheitliche und moderne Architektursprache der Siedlung zeigt sich auch in vielen baukonstruktiven und gestalterischen Details, der Materialwahl und Formgebung. Dazu zählen z.B. die Aluminiumfenster mit schmalen Rahmen, schmale Fensterbänder mit einer quadratischen Fläche als Schiebefenster, geschosshohe Schiebefenster zur Erschließung der Gartenhöfe, Eingangstüren aus Aluminium, schmale Dachkantenprofile, Eternit als Umfassungswand der Gartenhöfe und als seitlicher Sichtschutz der Balkone beim Mehrfamilienhaus. Der unbekümmerte Umgang mit den neuen Materialien führte zu neuen Kombinationen und Kontrasten. Daher besteht an der Erhaltung der Siedlung ein Interesse aus architektonischen Gründen, da die Gebäude mit ihren Fassadengestaltungen und den verwendeten Materialien außergewöhnlich und bahnbrechend für die damalige Zeit sind und die Moderne in der Nachkriegsarchitektur hervorragend verkörpern.

Bei dem Haus Schlesienstraße Nr. 42 handelt es sich den eingeschossigen Rechtecktyp, bei dem der Gartenhof nach Süden ausgerichtet ist. Über diesen werden die wohn- und Schlafräume belichtet. Das Elternschlafzimmer, in Komination mit Bad, befindet sich an der Schmalseite des Gebäudes. Die Lage der Küche ist über die Nähe zum Eingang und ihre Lage zum Wohnweg definiert. 1965 wurde das Elternschlafzimmer erweitert. Zusätzliche Wohnfläche wurde 1973 durch den Bau eines unterkellerten Gästezimmers geschaffen. Das Gebäude ist in Grundriss, äußerer Gestaltung und städtebaulicher Einbindung typisch für die Siedlung und deshalb als Teil der Gesamtanlage schützenswert.

Architekten der Siedlung an der Schlesienstraße waren Max von Hausen und Ortwin Rave, die sowohl für den städtebaulichen Entwurf als auch für die individuelle Architektur eines jeden Hauses verantwortlich waren. Nur wenige Jahre zuvor wurden sie zusammen mit Harald Deilmann und Werner Runau mit dem Neubau des Stadttheaters in Münster international bekannt. Sie gehörten zu den einflussreichen Architekten der Nachkriegszeit in Münster. Als herausragende Leistung im Lebenswerk bekannter Architekten besteht ein öffentliches Interesse an der Erhaltung der Siedlung.

Bereits im Jahre 1968 wurde die Siedlung mit dem damals erstmals vergebenen Architekturpreis des BDA (Bund Deutscher Architekten), Bezirksgruppe Münster, ausgezeichnet. Damit wurde die besondere und ungewöhnliche Wohnqualität gewürdigt.

Die Siedlung Schlesienstraße ist ein Gesamtkunstwerk, bestehend aus der städtebaulichen Anlage, den Häusern, Straßen, Plätzen und Freiflächen bis in die konstruktiven Details, das äußere Erscheinungsbild und die noch vereinzelt erhaltenen Gartenhofgestaltungen. Sie ist aus den o.g. Gründen insgesamt ein Baudenkmal, an deren Erhaltung und Nutzung ein Interesse aus künstlerischen, geschichtlichen, städtebaulichen und architektonischen Gründen besteht.

Daten:

Erbaut: 1963/64
Architekten: Max von Hausen, Ortwin Rave
Gartenarchitekt: Heinz Günter Schulten
Künstler: Ernst Hermanns

Literatur:
  • Dr. Josef Lammers: Gutachten des Westf. Amtes für Denkmalpflege
  • Tina Brand: Beschreibung der Siedlung Paulhans Peters: Atriumhäuser, Städtische Wohnhäuser mit Gartenhöfen, München 1961
  • W. Meyer-Bohe: Neue Wohnformen, Hang-, Atrium- und Terrassenhäuser, Thübingen 1970
  • Roland Reiner: Ebenerdige Wohnhäuser, Vaduz
  • O. Hoffmann, Ch. Repenthin, Neue urbane Wohnformen - Gartenhofhäuser, Teppichsiedlungen, Terrassenhäuser, Berlin 1966
Denkmalnummer
682/2
Eintragungsdatum
08.09.2000